Aufforderung an die Politik: Bei sexueller Bildung ist noch viel zu tun

Gemeinsame Presseaussendung: Expert*innen begrüßen neue Richtlinien und formulieren Kritik.

Die Sexualpädagogik soll an österreichischen Schulen besser qualitativ abgesichert werden. Am 1. April hat die vom Bildungsministerium beauftragte Geschäftsstelle zur Qualitätssicherung von schulexternen Angeboten dazu neue Richtlinien vorgestellt. Das Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC), die Plattform Sexuelle Bildung (PSB), die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF), THE RAIN WORKERS - Netzwerk für Sexuelle und Reproduktive Gesundheit, das feministische entwicklungspolitische Netzwerk WIDE sehen dies als Schritt in die richtige Richtung und gleichzeitig großen Handlungsbedarf für die Verbesserung der sexuellen Bildung in Österreich.

Hintergrund des neuen Qualitätssicherungsverfahrens war der Skandal um den Verein TeenSTAR, in dessen Materialien kein Sex vor der Ehe propagiert und Homosexualität als heilbares Identitätsproblem dargestellt wurden. Die wesentliche Neuerung ist, dass sich nun alle sexualpädagogischen Angebote einer Bewertung und Begutachtung unterziehen müssen, um in den Angebotspool für Schulen aufgenommen zu werden. Ein Dringlichkeitsbericht des WHO-Regionalbüros in Europa zeigt, dass es viel Nachholbedarf gibt. Alarmierend ist, dass fast ein Drittel der Jugendlichen (30%) angibt, beim letzten Geschlechtsverkehr weder Kondom noch Pille benutzt zu haben und der Kondomgebrauch seit 2014 zurückgegangen ist.

Auch der österreichische Gendergesundheitsbericht (2025) bestätigt großen Bedarf an flächendeckender, altersgerechter sexueller Bildung: 72 Prozent der Jugendlichen würden gern mehr über sexuelle und reproduktive Gesundheit lernen.

“Sexuelle Bildung hat eine wichtige Schlüsselfunktion für die Prävention von sexueller Gewalt, sexuell übertragbaren Infektionen/Krankheiten und ungewollten (Teenager-)Schwangerschaften. Sie führt nicht zu verfrühter sexueller Aktivität – ein Mythos, der sich leider hartnäckig aufrechterhält, sondern hilft Kindern und Jugendlichen, verantwortungsvoll zu handeln. Darüber hinaus fördert Sexualpädagogik den Abbau von Geschlechterstereotypen, die Akzeptanz von Geschlechtervielfalt und unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, wodurch eine aufgeklärte und inklusive Gesellschaft entstehen könnte“, so Nadja Schuster, Koordinatorin der Arbeitsgruppe Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte (AG SRGR), die beim VIDC angesiedelt ist.

Aufgrund der großen Defizite richten sich die oben genannten Organisationen mit Empfehlungen für eine Professionalisierung und Restrukturierung der sexuellen Bildung an politische Stakeholder:

1. Sexualpädagogik soll in die Grundausbildung von Lehrpersonen und Elementarpädagog*innen integriert sein und von Sexualpädagog*innen unterrichtet werden.

2. Für sexualpädagogische Ausbildungen sollen einheitliche Standards basierend auf dem Grundsatzerlass (2015) und den WHO/BZgA Standards für die Sexualaufklärung in Europa (2011) gelten, die von einer unabhängigen Qualitätssicherungsstelle überprüft werden sollen.

3. Sexualpädagogische Bildungsangebote sollen diskriminierungsfrei, kultursensibel, rassismuskritisch und menschenrechtsbasiert sein. „Sexuelle Bildung und Interkulturalität“ soll fixer Bestandteil sexualpädagogischer Ausbildungen und der Grundausbildung von Lehrpersonen/Elementarpädagog*innen sein. Schulen sollen von allen Entscheidungsgremien als interkulturelle Orte wahrgenommen werden.

4. Zur Geschäftsstelle: Praktizierende Sexualpädagog*innen müssen Teil des Entscheidungsgremiums (Board) der oben genannten Geschäftsstelle sein. Die Auswahlkriterien (Qualifikationen/Kompetenzen/Berufserfahrung) der Gutachter*innen, die die sexualpädagogischen Angebote für Schulen überprüfen, müssen transparent gemacht werden. Für Schüler*innen soll es eine kinder- und jugendfreundlich gestaltete Feedback- und Beschwerdemöglichkeit geben.

5. Die neuen Richtlinien sollen von einem schulinternen und -externen Elternbildungsangebot für sexuelle Bildung, Medien- und Pornographiekompetenz und zusätzlichen staatlich geförderten Online-Angeboten für Jugendliche (z.B. wie „Auf Klo“ vom Deutschen Rundfunk) begleitet werden. Darüber hinaus soll für sexuelle Bildung der Lifelong-Learning-Ansatz verfolgt werden.

Eine weitere Forderung der oben erwähnten Arbeitsgruppe ist, SRGR inklusive sexueller Bildung aufgrund seiner Schlüsselfunktion für persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung als Querschnittsmaterie in der internationalen Zusammenarbeit Österreichs zu verankern.

„Wir sehen in unseren Einsatzgebieten im Globalen Süden die Wichtigkeit von qualitativ hochwertiger und standardisierter Wissensvermittlung, damit Menschen selbstbestimmte, informierte Entscheidungen treffen können – in Bezug auf ihr sexuelles Verhalten, Familienplanung und Verhütung. Auch im Bereich der Prävention von sexueller Gewalt ist dies essenziell.“, bekräftigt Ines Kohl von der NGO THE RAIN WORKERS, die sexualpädagogische Ausbildung für lokale Expert*innen in Afrika anbietet.

Link zur Veröffentlichung: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20250410_OTS0168/aufforderung-an-die-politik-bei-sexueller-bildung-ist-noch-viel-zu-tun

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